Folgen einer Umschulung der Händigkeit

1, Einleitung

Die Händigkeit eines Menschen, das heißt, ob er Rechts- oder Linkshänder ist, wird über das Gehirn bzw die Gehirnhälften bestimmt. Man kann davon ausgehen, dass etwa ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte der Menschen von ihrer Anlage her Linkshänder ist.
Heute werden Kinder in Österreich in den Kindergärten und Schulen nicht mehr mit Zwang und körperlicher Gewalt zum Rechtshänder umerzogen, wie das früher leider weit verbreitet war. Eine vom Kind selbst eindeutig gezeigte Linkshändigkeit wird in der Regel akzeptiert und keine Umschulung auf Rechts zur Folge haben. Dennoch sind auch heute viele Rechtshänder in Wahrheit umgeschulte Linkshänder. Die Bedeutung davon und die Folgen sind leider weder den Betroffenen selbst, noch vielen Eltern, und den Pädagogen bewusst.
Es gibt auch eine „sanfte“ Form der Umschulung. Dabei kann durch Belohnung oder indirekten Druck das Kind von den Eltern dazu angehalten werden entgegen der angelegten Händigkeit doch die rechte Hand zu benützen. Weiters gibt es auch Kinder, die von sich aus als eine Form der Anpassung an ihre rechtshändige Umwelt auf den Gebrauch der rechten Hand umstellen. Oft ist bei kleinen Kindern für einen Laien die Händigkeit auch gar nicht eindeutig erkennbar. Das Kind verwendet immer wieder beide Hände. In solchen Fällen wird eine angelegte Linkshändigkeit oft nicht als solche erkannt und das Kind wird einfach der Mehrheit entsprechend als Rechtshänder angesehen und behandelt.
Eine Umschulung der angeborenen Händigkeit eines Menschen stellt in jedem Fall - egal wie sanft oder auch unabsichtlich sie erfolgt – einen ganz massiven Eingriff in die Gehirnfunktionen dar. Das hat immer Konsequenzen und führt zu teilweise schweren und weitreichenden Folgeerscheinungen.
Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, im Kindergarten bzw spätestens bei der Einschulung eines Kindes dessen Händigkeit professionell zu bestimmen. Ideal ist eine entsprechende Untersuchung beim Eintritt in den Kindergarten. Es könnte jedoch auch das bereits bestehende Verfahren zur Feststellung der Schulreife herangezogen werden um die Händigkeit des Kindes festzustellen. Dafür gibt es einfache Testmöglichkeiten.

2, Eine Umschulung der Linkshändigkeit auf Rechtshändigkeit kann beim Einzelnen zu schwerwiegenden Folgen führen. Es werden hier primäre und sekundäre Folgen unterschieden.

Zu den primären Folgen zählen:

Gedächtnisstörungen: Das Erlernen und Merken von Inhalten fällt sehr viel schwerer. Erlernte Inhalte können nur schwer oder gar nicht wiedergegeben werden. Blackouts treten auf. Das führt zu schlechten Noten, Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber den Mitschülern und Eltern.
Konzentrationsstörungen: Betroffene haben kürzere Konzentrationsphasen und brauchen öfter und längere Pausen. Das heißt Kinder kommen daher im Unterricht oft nicht mehr mit und passen nicht mehr auf. Sie bekommen nur Teile des Lernstoffes mit. Sie gleiten in Träume ab oder werden unruhig im Unterricht und stören. Das Mitschreiben funktioniert ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr. Das Kind kommt nicht mehr mit!

Legasthenie: Das Verdrehen von Buchstaben und Zahlen kann damit zusammenhängen, dass der Linkshänder von sich aus Spiegelschrift schreibt. Häufige Flüchtigkeitsfehler treten aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit auf.

Raum-Lage-Labilität: Das Verdrehen von Rechts und Links kann zum Beispiel im Straßenverkehr und beim Erwachsenen beim Autofahren fatale Folgen haben. Auch bei Drehbewegungen kann hier eine Schwäche auftreten.

Feinmotorische Störungen: Das Schreiben fällt schwer. Das Schriftbild ist unschön. Viele Menschen schämen sich für ihre Schrift. Der umgeschulte Linkshänder wirkt sehr ungeschickt, stößt oft etwas um, lässt etwas fallen. Er benötigt permanent sehr viel Energie, Anstrengung und Konzentration, um diese Zwischenfälle zu vermeiden.
Sprachstörungen (Stammeln, Stottern)

Diese Störungen können dann zu den sogenannten Sekundärfolgen führen:

Minderwertigkeitskomplexe
Unsicherheit
Zurückgezogenheit
Überkompensation durch erhöhte Leistung
Trotzhaltung, Widerspruch, Imponier- und Provokationsgehabe
unterschiedliche Verhaltensstörungen
Bettnässen, Nägelkauen
emotionale Probleme mit neurotischen und psychosomatischen Symptomen
Persönlichkeitsstörungen
Die auftretenden Probleme beim Lernen und im Alltag werden sowohl vom Betroffenen selbst als auch von seinem Umfeld oft auf mangelnde Intelligenz zurückgeführt und nicht im Zusammenhang mit der erfolgten Umstellung der Händigkeit erkannt.

Umgeschulte Linkshänder sind gezwungen, viel mehr Energie und Konzentration zur Bewältigung ihrer Aufgaben aufzuwenden, mehr Leistung erbringen, was dauerhaft zu Überforderung und Stress führt.

3, Was sind nun die Gründe für diese schwerwiegenden Folgen bei Umschulung der Händigkeit?

Das menschliche Gehirn ist in zwei Hälften aufgeteilt, die durch den sogenannten Balken miteinander verbunden sind. Die beiden Gehirnhälften sind beim Menschen kontralateral das heißt gegengleich ausgerichtet: Reize einer Körperhälfte werden somit vorwiegend von der gegenüberliegenden Gehirnhälfte verarbeitet. Jeweils eine Gehirnhälfte ist beim Menschen dominant angelegt. Beim Rechtshänder ist das die Linke. Beim Linkshänder daher die Rechte. Die Händigkeit wird durch die Dominanz der entsprechenden Gehirnhälfte festgelegt. Wird die Händigkeit umgeschult, ändert sich jedoch nicht automatisch auch die Dominanz im Gehirn, sondern es kommt vielmehr zu einer massiven Überbelastung der anderen, nicht dominanten Gehirnhälfte. Diese muss permanent Ausgleich im Gehirn schaffen. Durch den ständigen Gebrauch der nicht dominanten Hand kann es im Gehirn zu schweren Störungen kommen, die den Menschen belasten und sein ganzes Leben beeinflussen können.
Daher stellt die Umschulung der angeborenen Händigkeit einen der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn dar.

4, Ökonomische und gesellschaftliche Folgen:

Die angeführten schulischen Probleme der Kinder erfordern Nachhilfe- und Förderunterricht. Klassen müssen ev. wiederholt werden. Das bedeutet mehr finanziellen Aufwand für die Familien und das öffentliche Bildungssystem.
Studierende brauchen länger für ihr Studium. Das bedeutet höhere Ausbildungskosten und einen späteren Eintritt in den Arbeitsmarkt.
Betroffene schaffen keinen höheren Schulabschluss aufgrund ihrer Probleme beim Lernen und im Alltag. Ihr tatsächliches Potential kann nicht ausgeschöpft werden. Ein niedrigerer Bildungsgrad verschlechtert die Chancen am Arbeitsmarkt. Andererseits fehlen der Wirtschaft gut ausgebildete Fachkräfte.
In einigen Fällen enden die Betroffenen sogar als Sozialfälle, weil sie aufgrund Ihrer Umschulung mit den Anforderungen der Ausbildung und des Arbeitsmarktes nicht zurecht kommen. Auch hier geht menschliches Potential verloren und es fallen für den Staat Sozialkosten an, die vermeidbar wären.
Linkshänder verfügen sehr oft über ein großes kreatives Potential. Werden sie umgeschult, geht dies durch die permanente Stresssituation, in der sie leben und arbeiten, teilweise verloren oder kann nicht entsprechend genützt werden. Auch hier erleidet die Gesellschaft dadurch einen Verlust.
Verhaltensauffälligkeiten, Persönlichkeitsstörungen, Probleme in Beziehungen, psychosomatische sowie psychische Probleme verringern die Arbeits- und Leistungsfähigkeit, erhöhen Behandlungs- und Therapiekosten.

 

Quelle: Johanna Barbara Sattler, Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn. Auer Verlag, Donauwörth 2005 (9)